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Die Welt befindet sich in einem Prozess der geopolitischen Neuordnung, angetrieben durch die strategische Großmachtrivalität zwischen den USA und China. Das Ergebnis dieses Prozesses ist noch ungewiss. Die Europäische Union steht jedoch vor der konkreten Frage, welche Rolle der "alte" Kontinent in der Weltwirtschaft und -politik des 21. Jahrhunderts einnehmen will und kann. Dabei gilt: Entweder tritt die EU einheitlich als bedeutender globaler Akteur auf, oder sie und ihre Mitgliedsstaaten spielen künftig bestenfalls eine Nebenrolle.
Drei zentrale Themen werden in den kommenden Jahren darüber entscheiden, ob die EU ihrem Anspruch, die globale Ordnung mitzugestalten, gerecht werden kann. Erstens muss Europa seine eigenen Angelegenheiten selbständig regeln können und insbesondere seine Verteidigungsfähigkeit sicherstellen, was derzeit nicht der Fall ist. Zweitens muss die EU im globalen Kontext als einheitlicher Akteur auftreten, ihre Interessen definieren und mit einer Stimme vertreten. Dies erfordert einen weiteren Souveränitätsverzicht der Nationalstaaten in außenpolitischen Fragen und eine Änderung der Entscheidungsmechanismen innerhalb der EU, weg vom Einstimmigkeitsprinzip. Drittens muss Europa wieder zu wirtschaftlicher Dynamik finden, da dies die Voraussetzung für globalen Einfluss ist. Seit der Finanzkrise 2008 ist die Wirtschaft in der EU nur halb so stark gewachsen wie die der USA, was den Handlungsbedarf deutlich macht.
Auf die neue Kommission und ihre Präsidentin (oder ihren Präsidenten) warten deshalb nach der Europawahl wirtschaftspolitisch große Herausforderungen. Das fängt mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme an. Das suggestive Beschwören eigener Größe und Stärke, ohne dass substanzielle Verbesserungen geschehen, wird die anderen globalen Akteure immer weniger beeindrucken. Prioritäten sollten eine stärkere Wachstumsdynamik sowie eine höhere Innovationsfähigkeit haben. Vor allem müssen Wege gefunden werden, wie gesellschaftlich notwendige Ziele erreicht werden können, ohne die wirtschaftliche Substanz zu gefährden. Das betrifft vor allem die Klimaschutzziele: Im globalen Kontext ist eine wirksame Begrenzung der CO2-Emissionen nur realistisch, wenn Europa hierfür Lösungen entwickelt, die für andere globale Akteure attraktiv und nachahmenswert sind.
Für die EU-Kommission bedeutet dies, das Verhältnis zwischen europäischer Koordination und nationalen Lösungsansätzen neu zu bestimmen. Einige Themen sollten auf europäischer Ebene geregelt, andere besser dem Wettbewerb der europäischen Unternehmen oder nationalstaatlichen Strategien überlassen werden. In diesem Zusammenhang werden auch eigene Finanzierungsquellen und gemeinschaftliche Schulden der EU diskutiert. Letzteres kann in bestimmten Bereichen sinnvoll oder notwendig sein, steht aber im Spannungsverhältnis zu hohen nationalen Schulden und der daraus resultierenden Gefahr neuer Finanzkrisen im Euroraum. Insgesamt sollte die EU-Kommission stärker auf marktwirtschaftliche Anreize und ein innovationsfreundliches Klima setzen, da sich die gerade zuletzt anschwellende Flut kleinteiliger Verordnungen und Richtlinien als Irrweg erwiesen hat.
Bedauerlicherweise spielten all diese Fragen im Wahlkampf für das Europäische Parlament so gut wie keine Rolle. Es bleibt zu hoffen, dass die notwendigen Diskussionen nach der Wahl geführt und geeignete Lösungen gefunden werden.